Die Geschichte vom kleinen Vogel!
... Es war einmal in der Schweiz. Ich war auf einem Samstagsspaziergang unterwegs an einem wunderschönen, warmen Herbsttag, einmal entlang der Thur bis zur nächsten Brücke im Westen und zurück. Unterhalb der Kartause, einer alten Klosteranlage, am Wegesrand eines Weingutes, bei dem die Reben mit riesigen Netzen zum Schutz vor Vögeln abgedeckt sind, bemerkte ich einen kleinen Vogel, der sich in dem an der Seite der Reben herunterhängenden Netz verfangen hatte und hilflos herumzappelte, um sich wieder zu befreien. Ich eilte ihm herbei, musste dabei aber feststellen, dass er sich fürchterlich in den groben Maschen des feinfadigen Netzes verheddert hatte, was mit seinen hoffnungslosen Versuchen loszukommen nur noch schlimmer wurde. Die Fäden hatten sich mehrfach um sein Körperchen und sein Köpfchen gewickelt und sich in seinem Gefieder verknotet. Ein Faden hatte sich außerdem in seinem Schnabel hinter seiner Zunge verhakt. Ich hielt ihn mit der linken Hand vorsichtig umklammert, während ich mit der rechten versuchte, ihn zu entknoten. Dabei spürte ich, wie sein Herz ganz schnell schlug und er hatte sich vor Angst auch in sein Gefieder gemacht. Er hielt zu meinem Erstaunen relativ still, wenn er mich auch skeptisch mit seinen kleinen Äuglein anschaute, so als ob er sich in seiner Not irgendwie freute, dass ich da war. Sein Geruch erinnerte mich an unseren Wellensittich namens Peterchen, den wir früher als Haustier hatten als ich noch ein Kind war. Auch wenn es mir gelang, den widerspenstigen Faden aus seinem Schnabel zu lösen, dieser Zustand war am besorgniserregendsten gewesen, konnte ich ihn auch nach mehreren Minuten nicht aus dem Netz befreien, zu fest und verknotet umsponn der Faden den Unglückseligen, ich hätte ein Messer oder eine Schere gebraucht, die ich natürlich nicht dabei hatte. Zwischenzeitlich hatte ich mit Christiane telefoniert und ihr berichtet, dass ich in einer Notlage half und meine Rückkehr sich deshalb verspäten würde. Jetzt aber musste ich feststellen, dass ich ohne weitere Hilfsmittel nichts ausrichten konnte und überlegte, was ich tun konnte. Makabererweise sah ich am Fuße des Netzes bereits ein verwestes Vogelopfer. Ein Verhängnis, dem sich mein kleines Kerlchen ebenfalls ausgesetzt sah, würde ihm nicht geholfen werden. Da das Vöglein zwar nicht befreit werden konnte, ich ihn andererseits aber relativ sicher und ohne akute Gefahr für sein Leben für eine Zeit in dem Netz hängen lassen konnte, beschloss ich, mich auf den Heimweg zu machen, um von dort eine Schere zu holen und den Vogel damit freizuschneiden. Ich hatte auch daran gedacht, auf dem Weg zum Auto vielleicht bei Anwohnern zu klingeln und nach einer Schere zu fragen, um die Zeit zu verkürzen, denn der Abend brach bereits an, es bot sich aber kein nahegelegenes Haus dafür an. In der Hoffnung, mein gefesselter Kumpane würde sich in meiner Abwesenheit nicht verletzen oder gar vor Erschöpfung sterben, machte ich mich forschen Schrittes zurück zum Auto und mit diesem zurück ins nahegelegene Frauenfeld. Auf dem Weg durchschlich mich merkwürdigerweise die Überlegung, die Aktion einfach abzubrechen, einfach zuhause zu bleiben und den Vogel seinem Schicksal zu überlassen. Die räumliche Distanz schaffte also schon nach wenigen Minuten eine Art Gleichgültigkeit, ganz nach dem Sprichwort: "Aus den Augen, aus dem Sinn". Das war wirklich bemerkenswert, ich musste mich mich zwingen, aber die weiteren Handlungen waren viel mehr von Pflichtbewusstsein getrieben denn von natürlicher Selbstverständlichkeit. Mit zwei Scheren ausgestattet begleitete Christiane mich bei meinem zweiten Rettungsversuch, wir konnten mit dem Auto diesmal sogar auf dem kleinen Sandweg bis zur Stelle vorfahren, an der das Vögeln hing. Schon vom Auto aus konnte ich sehen, dass er noch lebte und ich freute mich riesig, ihn gleich freischneiden zu können. Christiane half mir dabei. Da er so wahnsinnig verknotet war, hielten wir es für eine gute Idee, ihn erstmal von dem Netz loszuschneiden, um ihn dann im Auto mit besserem Licht vorsichtig von all dem Fadengewirr zu befreien. Es dauerte eine Zeit, so kompliziert hatten sich die Fäden fest mit seinem Gefieder verbunden. Schließlich aber waren alle Fäden entfernt und ich hielt das schiere Federfiech in meinen Händen. Ich bat Christiane noch, ein Foto als Erinnerung zu machen, bevor ich den kleinen Vogel dann endlich wieder in die Freiheit entließ. Ich hielt die Arme ausgestreckt und öffnete die Hände. Der Vogel flatterte nach Osten in die Abenddämmerung davon, dabei zwitscherte er laut und hektisch, es klang wie Schreie des Schreckens und der Freude zugleich, jedenfalls machte ich mir keine Sorge, dass er irgendwelche bleibenden Schäden davon getragen hatte, höchstens die Erinnerung an ein besonderes Ereignis an einem wunderschönen Herbsttag. Glücklich fuhren Christiane und ich nach Hause …
So, jetzt aber: Schönes Wochenende!
KIKI
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