Mit dem heutigen Blogpost möchte ich zum Ausdruck bringen, wie wichtig ich es finde, einen eigenen Standpunkt zu haben, zunächst einmal völlig unabhängig davon welchen. Und ich freue mich, die Worte eines Bekannten veröffentlichen zu dürfen, die ich heute auf facebook las und die mich gleich doppelt erfreuten.
Zum einen ist es der Inhalt dessen, was Björn Thorben zu einem Artikel im Freitag postete, einer linksliberalen Wochenzeitung. Zum anderen ist es die Tatsache, überhaupt einen Kommentar und damit eine eigene Meinungsäußerung zu lesen. Mir fiel in dem Moment auf, dass die ganz überwiegende Zahl von Posts, die ich auf facebook lese, lediglich Links zu Artikeln sind. Menschen teilen Links, völlig unbekannt bleibt dabei jeweils, welche Position eigentlich die- oder derjenige einnimmt, die/der diese Links teilt.
Ich finde es besonders wichtig, eine eigene Position zu beziehen, weil man dadurch nicht nur der Umwelt seinen Standpunkt verdeutlicht, die Äußerung ist auch meistens Möglichkeit für Reflexion und richtiges Verstehen dessen, was man da eigentlich sagt und somit vertritt. Tut man dies nicht, bleibt man anderen und sich selbst schuldig, Farbe zu bekennen. Genau dies macht es vielleicht auch so verlockend, einen Link nicht zu kommentieren, weil man dem möglicherweise unangenehmen, jedenfalls aufwendigeren Prozess der Selbstreflexion aus dem Weg geht und zugleich eine Auseinandersetzung mit anderen vermeidet. Ich finde es daher mutig, nein, einfach richtig, seinen Posts auch einen persönlichen Kommentar beizufügen. Nur so ermöglicht man einen aufrichtigen Dialog, der einen zuweilen zu neuen Erkenntnissen und Einsichten bringen kann.
Nun aber zurück zu Björn Thorbens Kommentar zum Artikel zur Bundestagswahl im Freitag:
"Sehr schöne, bittere Analyse. Dazu ein paar Gedanken von meiner Seite.
Die CDU/CSU schaffte es schon immer, von Menschen gewählt zu werden, deren Interessen sie eher verletzt als vertritt. Früher wie auch heute waren und sind die Instrumente, die ihr dabei helfen der Wählerschaft erst gar keine rationalen Wahl-Argumente liefern zu müssen und ihr überhaupt erst ermöglichen, eine einzige Null-These namens "Keine Experimente" aufzustellen:
1) Religiöse Bindung. Sonntags erst in den Gottesdienst, dann die "richtige" Partei wählen. Oftmals mit dem vorherigen Gebot des Dorfpfarrers.
2) Tradition. CDU/CSU wird in bestimmten Landstrichen eben traditionell gewählt, weil "es schon immer so war". Diese Überzeugung wird auch traditionell in Familien, auch durch Erziehung, ausdrücklich oder subtil, weitergegeben.
3) Nationalistisch-rassistische Ressentiments. Wurden früher mehr genutzt als heute, um Wählerstimmen der Arbeiterklasse und Arbeitslosen zu "ergaunern", ohne überhaupt ihre wahren Interessen vertreten zu wollen.
4) Die Kampagnen der Axel-Springer-Presse. Vor allem die SPD-Zielgruppe Arbeiterklasse und Arbeitslose liest, wenn überhaupt, ausgerechnet das Springer-Blatt Bild-Zeitung.
5) In der aktuellen "Ära" neu hinzugekommen: Die Person Angela Merkel. Wie schon einst Margaret Thatcher suggeriert sie Frauen fälschlicherweise ohne rationalen, kausalen Hintergrund, sie würde politisch mehr für Frauen umsetzen als ein Mann dies tun würde. Dabei steht gerade die CDU/CSU für eine völlige Abwesenheit einer frauenpolitischen Dimension. Sie schafft es, wie die Punkte 1) bis 4), der Union Stimmen wider jede Vernunft anzuschaffen.
Zu denjenigen, die auf die Punkte 1) bis 5) hereinfallen, kommen dann die verhältnismäßig wenigen Gewinner ihrer Politik, welche die CDU/CSU aus zumindest rational nachvollziehbarem Eigeninteresse wählen, sprich ihre direkte Klientel - wobei Merkels politische Ausgangsposition ohnehin eine einfache ist, da Deutschland nahezu der einzige Gewinner der zynischen Struktur der Eurozone ist.
Zumindest prima facie, denn auf den zweiten Blick wird auch Deutschland irgendwann wieder von Krisen heimgeholt und dann wiederum selbst zum Getriebenen der Finanzmärkte.
Der wirtschaftspolitische Anpassungsdruck wird dann leider wieder vor allem diejenigen treffen, die sich am wenigsten wehren können: Einfache Angestellte, Arbeiter, Arbeitslose. Mithin vor allem jene Gruppen, die aus irrationalen Gründen zu Wählern der Union geworden sind und von ihr, wenn überhaupt, völlig unzureichend geschützt und vertreten werden.
Nun sehe ich die These des Herrn Leusch mit der Mehrheit rechts der Mitte nicht so einseitig negativ. Sie ist mir zu statisch. Gerade weil in Deutschland die Anzahl der Opfer unseres Wirtschaftssystems und der Eurozone auch fast schon absehbar wieder ansteigen werden, wird bereits mittelfristig die Anzahl potenzieller Wähler links der Mitte steigen. Auch durch die stets gefährdete Mittelschicht.
Sofern die Gründe ihres Leidens denn überhaupt von unserem Massenmediensystem kommuniziert werden. Dies ist alles andere als selbstverständlich.
Dass Friede Springer im Zweifelsfall nur Redaktionen goutiert, die implizit oder explizit CDU/CSU-Regierungspolitik verteidigen, wurde bereits oben erwähnt. Aber zudem sind viele Journalisten im Politikbereich, vor allem im öffentlichen wie im privaten Fernsehen, zwar durchaus gebildete Akademiker, aber im Grunde doch auch mehrheitlich elitäre Gewinner und Profiteure unserer Zeiten und eben nicht so neutral, wie sie es sein sollten. Trotz der offensichtlichen gesellschaftlichen und staatlichen Armut und obwohl die Disfunktionalitäten der Eurozone und unseres Wirtschaftssystems so offensichtlich sind, werden die naheliegendsten Argumente linker Politik von diesen medialen Vertretern erst gar nicht mitgedacht oder eben in diskursiven Runden gleich abgeschmettert.
Trotzdem: Die nächste Krise kommt bestimmt, mittelfristig werden sich die Verlierer einer solchen Politik auch eine Angela Merkel immer weniger gefallen lassen, langfristig steht Europa eh ein gruseliger Abstieg im politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb mit der Welt bevor. Was dann alles in Europa passiert, daran mag man jetzt noch gar nicht denken."
Björn Thorben Köhn, 1977 geboren, ist Diplom-Politikwissenschaftler und freiberuflicher Autor aus Bremen.
Ich habe zusammen mit Björn Thorben 1996 im friesischen Jever Abitur gemacht, seitdem haben sich unsere Wege getrennt, jedenfalls in der realen Welt. Über ein Wiedersehen irgendwann irgendwo würde ich mich freuen ...
Schöne Woche Euch
KIKI